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14.03.2012
 
Sonder-Newsletter Nr. 20 (März 2012)
 
Blastozystenkultur mit Zeitraffer-Cinematographie (Embryoscope)
(Teilweiser Auszug aus der „Kleinen Broschüre 2012“)

Zum 1. Februar 2012 hat das Kinderwunschzentrum Darmstadt den routinemäßigen Einsatz der Blastozystenkultur (5-Tage-Kultur) mit dem Embryoscope aufgenommen. In der Zeit von September 2011 bis Ende Januar 2012 lief eine Erprobungsphase mit diesem neuartigen Kultursystem. Das große Interesse der Paare an dieser verbesserten Kulturmethode veranlasste uns, das System auszubauen. Jetzt verfügt das Kinderwunschzentrum Darmstadt über zwei dieser Systeme. Somit kann pro Woche die embryoskopische Überwachung der Embryonalentwicklung bei jeweils zwölf Patientinnen erfolgen.

In vorausgegangenen Sonder-Newslettern wurden das Embryoscope-System erstmalig und die Blastozystenkultur wiederholt vorgestellt und die Vorteile letzterer gegenüber dem konventionellen Vorgehen (z.B. 2 - bzw. 3-Tage Kultur) dargestellt und erörtert. Das Embryoscope-System ist neu, so dass jetzt allmählich mit den ersten wissenschaftlichen Publikationen zu rechnen ist (s. Newsletter 1/2012). In diesem Sonder-Newsletter wollen wir noch einmal die Blastozystenkultur unter den Bedingungen des Embryoscopes vorstellen und die Vorteile herausarbeiten (siehe auch „Kleine Broschüre 2012“).

Wie viele Embryonen schaffen es überhaupt bis zur Blastozyste?

Es ist das Ziel der reproduktionsmedizinischen Maßnahmen, an Tag P+5, also dem Tag des Embryotransfers, Embryonen in die Gebärmutter zu spülen, die eine realistische Chance haben, zu einer Schwangerschaft zu führen. Dies ist in der Regel nur bei Embryonen der Fall, die an Tag 5 der Embryokultur das Blastozystenstadium erreicht haben. Umfangreiche Studien haben ergeben, dass der Transfer von „guten“ Blastozysten („volle“ Blastozysten und „expandierte“ Blastozysten) zu einer höheren Schwangerschaftsrate führt als der Transfer von „guten“ Tag 3 - Embryonen.

Allerdings erreichen bei weitem nicht alle Eizellen im Pronukleus- (PN)-Stadium oder Embryonen im frühen Teilungsstadium das Stadium der vollen oder expandierten Blastozyste. Eine Zwischenauswertung unserer Ergebnisse während der ersten vier Monate des Jahres 2010 bestätigte eigene frühere Daten und solche aus der wissenschaftlichen Literatur, dass nur 20 (bis maximal 30%) der kultivierten Eizellen im PN-Stadium nach fünf Tagen das Stadium der vollen und expandierten Blastozyste erreichen (in der Abb. „Bl ges“). Bis dahin sind Teilung und Wachstum des Embryos eine Leistung der Eizelle. So ist es zu erklären, dass die genetisch defekten Embryonen bis ins Morula- und frühe Blastozystenstadium („frBl“) heranwachsen und dann absterben. Bei „Blastozyste gesamt“ wird die frBl nicht mitgezählt.

Das Ausbleiben der Weiterentwicklung von Embryonen findet andauernd auch unter natürlichen Bedingungen im Eileiter oder in der Gebärmutter statt. Dies ist eine Erklärung dafür, dass bei jungen Paaren ohne Einschränkung der Fortpflanzungsfähigkeit die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit bei Kinderwunsch nur bei 30% pro Zyklus liegt. Unter den Bedingungen der künstlichen Befruchtung findet ebenso eine
„natürliche Selektion“ der Embryonen während der Blastozystenkultur statt.

Nur die genetisch weitgehend intakten Embryonen entwickeln sich binnen 5 Tagen zur (expandierten) Blastozyste. Die nicht intakten Embryonen bleiben in ihrer Entwicklung zurück und degenerieren. So ist es auch nicht gesichert, dass „gute“ 3-Tage-Embryonen sich in gute Blastozysten entwickeln und sich einnisten. Dies verdeutlicht, wie oben bereits erwähnt, warum die Schwangerschaftsrate höher ist nach Transfer einer guten Blastozyste als nach Transfer eines „guten“ 3 Tage-Embryos. Erst die Blastozystenkultur erlaubt die Aussage, ob tatsächlich optimale, zur Einnistung befähigt Embryonen heranwuchsen und eine hohe Chance der Einnistung besteht.

Je weiter der Embryo entwickelt ist an Tag 5 der Blastozystenkultur, desto höher ist die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit. Die höchste Schwangerschaftsrate erzielen „expandierte“ Blastozysten, gefolgt von der „vollen“ Blastozyste. Dagegen ist die Schwangerschaftsrate verhältnismäßig gering bei Transfer einer „frühen“ Blastozyste oder gar eines Embryos im Beerenstadium (Morula) an Tag 5 der Embryokultur.

Das Embryoscopeâ„¢
Zeitraffer-Cinematographie der Embryonalentwicklung

Bisher war es realistischerweise nur möglich, am Ende und nicht während des Verlaufs einer Kulturperiode (drei oder fünf Tage) die Embryonen in ihrer Qualität zu beurteilen. Andernfalls hätte man das Kultursystem (die Brutschränke) mehrmals öffnen müssen. Das Embryoscope erlaubt mit seiner revolutionären Kameraüberwachung die kontinuierliche Beurteilung der Embryonalentwicklung.

So funktioniert das System:

In einem Inkubator, der auf einem Labortisch Platz findet, befindet sich ein Kamerasystem, welches über die gesamte Inkubationsdauer von fünf Tagen alle 20 Minuten ein Bild von jedem einzelnen Embryo aufnimmt.


Das Embryoscope als Tischgerät

Jeweils zwölf Embryonen von sechs Patientinnen können gleichzeitig überwacht werden. Die Embryonen der Patientinnen liegen in kleinen Vertiefungen, gefüllt mit Inkubationsmedium, in jeweils getrennten Kartuschen. Seit Januar 2012 ist ein weiteres Embryoscope installiert, so dass pro Woche jeweils zwölf Patientinnen diese moderne Technik in Anspruch nehmen können.

Das Kamerasystem, welches über Vergrößerungslinsen Bilder von den mikroskopisch kleinen Embryonen automatisch anfertigt, ist an ein Computersystem angeschlossen, welches die externe Überwachung (remote control) der Embryonalentwicklung erlaubt. Das Inkubationssystem braucht demnach zwecks Kontrolle der Embryonalentwicklung nicht geöffnet zu werden. Temperatur und Gaskonzentrationen bleiben daher in dem kleinen Brutschrank immer konstant.


Kartusche mit 12 eingelassenen Kulturschälchen


Bildschirmüberwachung der Embryonalentwicklung (remote control)

Auf dem Bildschirm des PC lassen sich jederzeit die Entwicklungsschritte der einzelnen Embryonen beobachten. Es ist möglich, das gesamte „Set“ einer Patientin, aber auch einzelne Embryonen in Vergrößerung zu betrachten.

Besonders wertvoll ist, dass zu jedem Zeitpunkt, insbesondere aber am Ende der Kulturzeit die Entwicklung einzelner Embryonen zurückverfolgt werden kann. Die Dynamik der einzelnen Entwicklungsschritte, wie z.B. die Vereinigung der Vorkerne, die erste Zellteilung, die Zeitdauer bis zur Blastozystenbildung u.s.w., aber auch das Auftreten von „Reparaturmechanismen“ und Wachstumsverzögerungen sowie Stillstände der Entwicklung lassen sich beobachten und beurteilen.

Von höchstem Interesse ist selbstverständlich die Frage, was Embryonen kennzeichnet, von denen wir wissen, dass sie nach Einspülen in die Gebärmutter zu einer intakten Schwangerschaft geführt haben. Deren Entwicklung ist sozusagen die Matrix, vor deren Hintergrund die Entwicklung individueller Embryonen beurteilt wird.


„Remote control“ der Embryonen in unserem Embryokulturlabor. Zur Kontrolle und Beurteilung der Reifung der Embryonen brauchen diese nicht mehr aus dem Brutschrank herausgenommen zu werden.

Die von uns seit zehn Jahren routinemäßig durchgeführte Blastozystenkultur hat über die Jahre zu einer enormen Verfeinerung der Beurteilung der Qualität von Embryonen im Hinblick auf ihr Potential zur Schwangerschaft geführt. Der Einsatz des Embryoscopes stellt jetzt nochmals eine erhebliche Vertiefung der Einblicke in die Embryonalentwicklung dar.

Während sämtliche Vorteile und Möglichkeiten des Embryoscopes sich bisher noch nicht ermessen lassen, so lässt sich doch bereits heute auf Grund eigener Erfahrungen mit dem neuen Kultursystem folgendes konstatieren:

  1. Wir erhalten mit dem Embryoscope Einblicke in die frühe Embryonalentwicklung, wie sie bisher nicht möglich waren.
  2. Auf die Blastozystenkultur kann nicht verzichtet werden. Wenn auch „dynamische Entwicklungen“ am Anfang der Embryonalentwicklung, wie z.B. rasche Bildung und Verschmelzung der Vorkerne, typisch für einen später als „gut“ beurteilten Embryo sind, so ist doch die Entwicklung von der Morula (Tag 4 der Kultur) bis zur „expandierten“ Blastozyste die kritische Phase, die auch anfänglich als gut erachtete Embryonen häufig nicht durchlaufen. Es ist daher auch nicht sinnvoll, die Embryokultur abzukürzen, wenn sich z.B. an Tag 3 bereits herausstellen sollte, dass, wenn überhaupt, nur zwei Embryonen übrig bleiben. Man begäbe sich zudem der Möglichkeit, den Zyklus komplett zu beurteilen und die Patientin für weitere Behandlungen umfassend zu beraten. Daher gilt nach wie vor: Die expandierte Blastozyste mit guter innerer und äußerer Zellmasse ist unter den nach mikroskopischen Kriterien beurteilten Embryonen der beste in der jeweiligen Kohorte.

Es handelt sich um zwei beispielhafte von mehreren Embryonen einer Patientin, deren Entwicklung über 5 Tage (Blastozystenkultur) überwacht wurde. Von insgesamt jeweils 356 Fotos (alle 20 min.) werden nur jeweils nur 5 gezeigt.
Obere Reihe: Der Embryo entwickelt sich zu einer expandierten Blastozyste, wird in die Gebärmutter gespült (Embryotransfer) und entwickelt sich zu einer intakten Schwangerschaft. Auffallend sind an Tag 3 und 4 Fragmentierungen zu sehen („körnige“ Erscheinungen), die bisher als ungünstig in der Beurteilung der Embryonenqualität angesehen wurden.
Untere Reihe: Bis an Tag 3 der Kultur sehen die Embryonen „eigentlich besser“ aus (keine Fragmentierung) als die der oberen Reihe. Dann setzt ein Entwicklungsstop ein. Es kommt nicht zur Ausbildung des Beerenstadiums an Tag 4 (Morula). An Tag 5 ist der Embryo degeneriert.

  1. Es ist zu erwarten, dass bei Bildung von Blastozysten nicht nur die mikroskopische Auswahl des besten Embryos an Tag 5, sondern auch die Auswahl des besten Embryos hinsichtlich eines schwangerschaftstypischen Wachstums- und Reifungsprofils zu einer hohen Schwangerschaftsrate bei „single embryo transfer“ führen wird. D.h. der Einsatz des Embryoscopes verbessert nicht nur die Methodik der künstlichen Befruchtung, sondern macht sie auch - durch Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften - hinsichtlich der Gesundheit von Mutter und Kind (siehe auch Newsletter 1/2012) sicherer.
  2. Wenn entgegen der Abschätzung des „individuellen Prognoseprofils“ an Tag 5 der Kultur entwicklungsfähige Embryonen übrig bleiben („überzählige Embryonen“), die nicht transferiert werden können oder sollen, so werden diese unter Berücksichtigung des Wunsches der Patientin kryokonserviert. Als entwicklungsfähige Embryonen gelten solche, die an Tag 5 der Kultur mindestens das Morulastadium mit guter mikroskopischer Beurteilung erreicht haben. Dieses Vorgehen berücksichtigt die residuale Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von Embryonen im Stadium der Morula und der frühen Blastozyste. Mit zunehmender Erfahrung mit dem Embryoscope wird es auch bei solchen in der Entwicklung zurückgebliebenen Embryonen durch Beurteilung der jeweiligen Enwicklungsdynamik möglich sein, den oder die Embryonen mit der höheren Schwangerschaftswahrscheinlichkeit zu identifizieren.

Unser Vorgehen entspricht dem „Deutschen Mittelweg“ und richtet sich somit streng nach dem Embryonenschutzgesetz (EschG) entsprechend der Auslegung durch führende Medizinrechtler. Die moderne wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich nur etwa 20% aller Eizellen nach einer 5-tägigen Kultur in Blastozysten als zwingendes Durchgangsstadium zur erfolgreichen Einnistung entwickeln, lässt die Interpretation des EschG entsprechend der (Muster) Richtlinie der BÄK als obsolet und im Hinblick auf das „Lotteriespiel“ einer zahlenmäßig begrenzten Auswahl von Eizellen im Vorkernstadium (maximal drei), die möglicherweise alle degenerieren und nicht das Potenzial zur Schwangerschaft haben, als ärztlich unethisch erscheinen.

Literatur

Günther, H.-L. Taupitz J.. Kaiser, P. Kommentar zum Embryonenschutzgesetz. Verlag W. Kohlhammer 2008.

Bals-Patsch, M, Dittrich R, Frommel M. Wandel der Implementation des deutschen Embryonenschutzgesetzes. J Reproduktionsmed Endokrinol (2010) 7(2) 87-95

Frommel M, Taupitz, J, Ochsner A, Geisthövel F. Rechtslage der Reproduktionsmedizin in Deutschland. J Reproduktionsmed Endokrinol (2010) 7(2) 96-105

Prof. Dr. med. Gerhard Leyendecker

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