Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie von Endometriose und Adenomyose: Tissue Injury and Repair (TIAR)
Ätiologie und Pathogenese der Endometriose und Adenomyose sind seit ihrer Erstbeschreibung bis heute Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung. Die von Sampson entwickelte Theorie der intraperitonealen Dissemination von endometrialem Gewebe durch retrograde Menstruation stellt die heute vorherrschende Sicht der Pathophysiologie der Endometriose dar, wie sie auch von einflussreichen wissenschaftlichen Gesellschaften, wie der Amercian Society of Reproductive Medicine (ASRM) und der European Society of Human Reproduction (ESHRE) vertreten wird. Sampsons Theorie konnte allerdings die Entwicklung der Adenomyosis uteri, die bereits früher als Folge einer Infiltration von Müller-Gang-Gewebe in das Myometrium und in ihrem Aufbau als identisch mit extrauterinen Herden erkannt wurde, nicht erklären. Dies führte nicht etwa zur Korrektur seines Konzeptes, sondern, besonders in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss der Laparoskopie, zu einer strikten Trennung von pelviner Endometriose und uteriner Adenomyose in verschiedene Krankheitsbilder ohne gemeinsame Pathophysiologie. Dies führte in der Endometrioseforschung über weit mehr als ein Jahrzehnt zur Focussierung auf die Endometrioseherde im Bauchraum. Der Nachweis, dass Sampson’s Konzept richtig sei, schien das Ziel unzähliger Publikationen zu sein.
Wenn auch heute kein Zweifel besteht, dass die pelvine Endometriose durch transtubare Dissemination endometrialen Gewebes zustande kommt und diese Erkenntnis ohne Zweifel auf Sampson zurückzuführen ist, so ist der Nachweis bis heute nicht erbracht worden, dass sekretorisch umgewandelte und menstruell desquamierte Funktionalis (menstrueller Debris) in der Lage ist, im Bauchraum zu implantieren und Endometrioseherde zu bilden. Es ist somit der Beweis, dass eine retrograde Menstruation eine Endometriose hervorrufe, bis heute nicht erbracht worden.
Bereits vor mehr als einer Dekade hatte die Arbeitsgruppe um Leyendecker in Darmstadt und Wildt in Erlangen/Innsbruck in Übereinstimmung mit der Sicht älterer Autoren aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Auffassung vertreten, dass Endometriose und Adenomyose eine nosologische Einheit bilden und die Ursache des gesamten Krankheitsbildes primär im Uterus zu suchen ist. Zwischenzeitlich konnten diese Vorstellungen vertieft und erweitert werden. Diesem Konzept zufolge ist die Endometriose/Adenomyose das Resultat lokalisierter uteriner Traumata und der nachfolgenden Interaktion zweier primär von einander unabhängiger physiologischer Prozesse, die beide der regulatorischen Funktion von Estradiol unterliegen: (A) das ovarielle endokrine System unter der Kontrolle der hypothalamo-hypophysären Achse; und (B) ein nicht organspezifisches parakrines System, welches lokal in Prozessen von Gewebsverletzung und Wundheilung aktiviert wird. Das Akronym TIAR (tissue injury and repair) wurde geprägt, um auf den fundamentalen Charakter und das im Körper offenbar ubiquitäre Auftreten dieses Systems hinzuweisen. Im Folgenden wird die Entwicklung des TIAR-Konzeptes, dem eine Synopse von Befunden der Arbeitsgruppe und der Ergebnisse anderer Autoren zugrunde liegt, als neues Modell der Pathophysiologie von Endometriose und Adenomyose dargestellt.
Bis zu 70% aller Frauen entwickeln bis zum Ende der reproduktiven Phase eine Adenomyosis uteri. Etwa 90% aller Frauen mit einer Endometriose zeigen in der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) die typischen Zeichen einer Adenomyose. Frauen mit Endometriose entwickeln eine Adenomyose früher als Frauen ohne Endometriose. Eine insgesamt dermaßen hohe Prävalenz von Endometriose/Adenomyose lässt vermuten, dass die Entwicklung dieses Krankheitsbildes durch Struktur und Funktion der Gebärmutter vorgegeben ist – ähnlich wie die Gelenkarthrose und die Arteriosklerose. Diesen Organsystemen ist gemeinsam, dass sie einer andauernden mechanischen Belastung ausgesetzt sind, die unter bestimmtem Bedingungen zu einem proliferativen entzündlichen Prozess führt.
Ferticonsult ist davon überzeugt, dass ein Interesse deutschsprachiger Leser (Ärzte und Laien) besteht, das moderne Konzept in der eigenen Sprache zu lesen und zu studieren (unter Literatur anklicken). Der/die interessierte Leser/in findet in der Broschüre „Myome der Gebärmutter“ den Unterschied von Myomen und Adenomyose, wie er sich im MRT präsentiert.
Es handelt sich bei der anliegenden Publikation um die erste umfassende Darstellung dieses neuen Konzeptes in deutscher Sprache. Die Autoren waren vor einiger Zeit auch dazu aufgefordert worden, ihre Vorstellungen über die Entstehung von Endometriose und Adenomyose in einem amerikanischen Lehrbuch darzulegen.
Literatur
Leyendecker G, Wildt L. (2012)
Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie von Endometriose und Adenomyose: Tissue Injury and Repair (TIAR). forMed. Exzellenzforschung in der Medizin. 3:12-23. ISSN 2191-9003. Fortschritte in der Endometrioseforschung (Hier klicken zur PDF-Datei)
Leyendecker, G., Wildt, L., (2012)
Uterine peristalsis and the development of endometriosis and adenomyosis.
In: L.C. Giudice, J. L. H. Evers, D. L. Healy (editors) Endometriosis. Science and practice. p. 200-211. Wiley-Blackwell 2012