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10.07.2001
 
Sonder-Newsletter Nr.5
 
    "Der Embryo gehört in den Mutterleib"

    Der Darmstädter Reproduktionsmediziner Gerhard Leyendecker zum Umgang mit künstlich befruchteten Eizellen

    Interview von Lisa Sandratski, Darmstädter Echo vom 16.06.01

Frage: Professor Leyendecker, die aktuelle Diskussion rund um die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Forschung mit embryonalen Stammzellen hat die Frage nach dem Beginn des Lebens wieder in den Mittelpunkt gerückt. Viele Forscher setzen sich für eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes ein. Was halten Sie vom Verlauf der Diskussion?

Leyendecker : Ich halte sie für außerordentlich wichtig. Allerdings wird in Deutschland zu prinzipiell und zu theoretisch diskutiert. Der Aspekt des Heilens wird zu wenig betont. Keine Frage: Das Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Das Lebensrecht des Embryos muss geachtet werden. Dieses Recht kann man nur relativieren, wenn das Argument sehr stark ist - wie beim Schwangerschaftsabbruch. In der Reproduktionsmedizin gibt es dieses Argument: Es ist die Gesundheit von Mutter und Kind.

Frage: Kommen Reproduktionsmediziner zu wenig zu Wort?

Leyendecker : In der ganzen Diskussion über die Embryonenforschung ist auf die Reproduktionsmedizin wenig Bezug genommen worden. Für das Schicksal der Mütter und Kinder scheint sich niemand zu interessieren. Man redet von Ethik und Embryonenschutz - aber nicht von den Betroffenen. Das Argument für eine Modifizierung des Embryonenschutzgesetzes muss aus der Medizin kommen. Die Medizin hat genügend ethische Grundsätze etabliert, die hierbei zur Anwendung kommen sollen. Ein Hauptprinzip ist dabei: Nicht schaden.

Frage: Sie betonen häufig, dass die Fortpflanzung ein Grundrecht ist. Gibt es ein Recht auf ein gesundes Kind?

Leyendecker : Es gibt Schicksalsschläge, die man akzeptieren muss. Dazu gehört ein krankes Kind oder eine Behinderung aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit. Ganz klar: Behinderte benötigen unsere ganze Zuwendung und Hilfe. Man hat kein Grundrecht auf ein gesundes Kind. Wenn es aber im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung möglich ist festzustellen, dass der Embryo, der transferiert werden soll, nicht krank ist, dann ist es eine Verpflichtung der Medizin, dies zu tun. Wenn es möglich ist, im Reagenzglas zwischen einem lebensfähigen und einem nicht entwicklungsfähigen Embryo zu unterscheiden, dann ist es eine Verpflichtung, den lebensfähigen Embryo zu übertragen.

Frage: Wie soll eine Modifizierung des Gesetzes Ihrer Meinung nach aussehen?

Leyendecker : Sie könnte darin bestehen, dass der Arzt in voller Verantwortung das Wachsen mehrerer Embryonen im Reagenzglas verfolgt und erkennt, welcher Embryo nicht lebensfähig ist. Nicht lebensfähige Embryonen zu übertragen und damit einen Misserfolg der Behandlung von vorneherein herbeizuführen, wäre geradezu Scharlatanerie.

Frage: Soll das Gesetz also Untersuchungen an einem im Reagenzglas erzeugten Embryo ermöglichen - zum Beispiel die PID?

Leyendecker: Die PID wird in der Reproduktionsmedizin im großen Umfang sicherlich nicht benötigt, da das Alter der behandelten Frauen im wesentlichen unter 35 Jahren liegt, also die Wahrscheinlichkeit genetischer Defekte wie einer Trisomie gering ist. In der Routinesprechstunde im Rahmen einer künstlichen Befruchtung ist daher eine PID nicht notwendig. Anders ist die Situation bei älteren Frauen mit gesteigertem Risiko chromosomaler Irrtümer. In einigen Zentren im westlichen Ausland ist in solchen Fällen die PID bereits Bestandteil der künstlichen Befruchtung. Man schätzt, dass in Deutschland etwa 50 bis 150 Paare im Jahr auf Grund einer bekannten Erbkrankheit zur Vermeidung einer späteren Schwangerschaftsunterbrechung eine PID benötigen. Bei diesen wäre dann die PID die Indikation zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung.

Frage: Welche anderen Methoden gibt es, einen künstlich erzeugten Embryo zu untersuchen?

Leyendecker : Bei der künstlichen Befruchtung werden im Schnitt sechs bis zehn Zygoten, also Eizellen, in die der Samenfaden bereits eingedrungen ist, erzeugt. Erfahrungsgemäß entwickeln sich von zehn Zygoten nur drei zu einem lebensfähigen Embryo weiter. Das liegt auch daran, dass etwa 50 Prozent der Eizellen der Frau von vorn herein chromosomal defekt sind. Im Mikroskop kann man bereits im Achtzellstadium, also am dritten Tag der Embryokultur, abschätzen, welche Embryonen sich weiterentwickeln werden und welche nicht. Eine solche Untersuchung ist im Ausland möglich.

Frage: In Deutschland ist diese mikroskopische Untersuchung nicht erlaubt?

Leyendecker : Nein. Das Embryonenschutzgesetz verbietet eine Auswahl und erlaubt nur eine Art Lotteriespiel. Wir wählen zufällig drei Zygoten aus, die sich zu Embryonen entwickeln und dann alle transferiert werden müssen. Daraus kann eine Mehrlingsschwangerschaft resultieren - aber auch ein Misserfolg der Behandlung, wenn alle drei Embryonen nicht entwicklungsfähig waren. Die Folge ist eine vergleichsweise niedrige Schwangerschaftsrate in Deutschland und eine relativ hohe Zwillings- oder Drillingsrate. Mehrlingsschwangerschaften gehören für uns zu den ernsthaftesten Komplikationen in der Reproduktionsmedizin, weil sie Mutter und Kind gefährden. In Deutschland nimmt man eine Drillingsschwangerschaft in Kauf, mit der möglichen Geburt der Kinder in der 23. Schwangerschaftswoche, die dann mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn sie überleben, dauerhaft geschädigt sind. Es kann nicht sein, dass in solcher Situation das Lebensrecht eines Embryos höher zu veranschlagen ist - eines Embryos, von dem wir noch gar nicht wissen, ob er überhaupt lebensfähig ist.

Frage: Muss man da einem Paar nicht empfehlen, ins Ausland zu gehen?

Leyendecker : Die Paare sind darüber informiert, dass es im Ausland andere und zum Teil bessere Möglichkeiten gibt. Einige, vor allem ältere, gehen nach Brüssel, London oder nach Holland. Unsere Patienten können die jetzige, zum Teil groteske Diskussion übrigens überhaupt nicht nachvollziehen. Nebenbei: Die Sterilität, also der unerfüllte Kinderwunsch, ist eine der häufigsten Diagnosen überhaupt. 15 Prozent aller Ehepaare sind ungewollt kinderlos. Mittlerweile werden in Deutschland fast dreimal so viele Kinder im Jahr durch künstliche Befruchtung geboren wie Kinder in Darmstadt.

Frage: Wie könnte die medizinische Praxis aussehen, wenn das Embryonenschutzgesetz gelockert wird?

Leyendecker : Sollten wir die Möglichkeit haben, Embryonen zu beurteilen und nur einen oder zwei für den Transfer auszuwählen - das ist übrigens keine Selektion, denn es wird nur der Transfer der Embryonen verhindert, bei denen bereits mikroskopisch erkennbar ist, dass sie sich nicht weiter entwickeln werden -, dann wäre es allerdings unvermeidbar, dass überzählige Embryonen entstehen. Deswegen sollten wir schon auf der Ebene der Eizelle und der Zygote Auswahlkriterien entwickeln, damit möglichst wenige Embryonen entstehen. Wenn ein modifiziertes Embryonenschutzgesetz dann erlauben würde, dass aus den zwei oder drei entstandenen Embryonen nur derjenige mit höchstem Entwicklungspotenzial für den Transfer ausgewählt wird, dann könnten auch in Deutschland Schwangerschaftsraten von bis zu 50 Prozent bei Transfer eines einzigen Embryos erzielt werden - bei gleichzeitig sicherem Ausschluss einer Zwillingsschwangerschaft. Unter den Bedingungen des Embryonenschutzgesetzes liegt die Schwangerschaftsrate bei Transfer von einem Embryo zwischen sieben und zwölf Prozent, bei Transfer von zwei Embryonen bei 23 Prozent mit einem zwanzigprozentigen Risiko einer Zwillingsschwangerschaft.

Frage: Glauben Sie, dass das Gesetz bald verändert wird?

Leyendecker : Ja, und zwar in den nächsten zwei Jahren. Die Reproduktionsmediziner werden zugleich intensiv daran forschen, dass sie die Lebensfähigkeit des zukünftigen Embryos bereits auf der Ebene der Eizelle oder der Zygote bestimmen können. Wenn wir das tun, werden weniger Embryonen erzeugt. Denn die Reproduktionsmediziner wollen keine überzähligen Embryonen. Der Embryo gehört in den Mutterleib und sonst nirgendwohin. Dennoch kann es auch bei verbesserten Möglichkeiten geschehen, dass von drei Embryonen, die wir heute schon nach dem Embryonenschutzgesetz erzeugen dürfen, zwei lebensfähig sind, und es muss daher die Möglichkeit geben, einen dieser Embryos nicht zu transferieren, um eine Mehrlingsschwangerschaft zu verhindern.

Frage: Was soll mit den überflüssigen Embryonen passieren?

Leyendecker : Nach meiner Vorstellung muss man diese Embryonen dann einfrieren können, um sie idealerweise der Mutter zu übertragen - entweder im darauf folgenden Zyklus, wenn die Behandlung nicht funktioniert hat, oder später, wenn sie ein zweites Kind möchte. Die Möglichkeit der Embryonenadoption halte ich für problematisch. Der Umgang mit den überzähligen Embryonen ist ein riesiges moralisch-ethisches Problem. Das muss alles sehr sorgfältig durchdiskutiert werden. Missbrauch, zum Beispiel Kommerz mit überzähligen Embryonen, muss sicher verhindert werden.

Frage: Welchen Weg schlagen Sie vor, wenn der Embryo nicht mehr seiner Mutter übertragen werden kann?

Leyendecker : Ich sehe zwei Möglichkeiten: Embryonenforschung mit dem Ziel, über vertiefte Einsichten besser heilen zu können, und andererseits das Recht der Eltern zu entscheiden, dass der überzählige Embryo nicht verwendet wird - weder für einen Transfer noch für die Forschung.

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Gerhard Leyendecker