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Phytoöstrogene
Definition
Hormonähnliche Pflanzenstoffe die sowohl östrogene als auch antiöstrogene Wirkungen aufweisen und daher zutreffender als Phyto-SERM (Selektive ÖstrogenRezeptorModulatoren) bezeichnet werden. Die uns am besten bekannten SERMS sind z.B. Tamoxifen und Raloxifen.
Vorkommen
Sojabohne, Türkischer Rhabarber, Rotklee, Schlangenkraut, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, div. Obst- und Gemüsesorten
Wie kam es zur Entdeckung der Phytoöstrogene?
Im asiatischen Raum liegt sowohl die Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen als auch die Rate hormonabhängiger Malignome wesentlich niedriger als in den westlichen Industrienationen. Asiatische Frauen leiden im allgemeinen weniger unter klimakterischen Beschwerden als Frauen in der westlichen Welt. Dass es sich hierbei nicht um genetisch bedingte Effekte handelt, zeigen Migrationsstudien: bei Asiaten, die aus ihren Heimatländern in westliche Staaten emigrieren, zeigt sich ein deutlicher Anstieg der aufgeführten Erkrankungen. So wird vermutet, dass neben Lebensstil und kulturellen Faktoren (Erziehung und Einstellung der Gesellschaft zur Menopause) vor allem die Ernährung einen präventiven Effekt auf die genannten Erkrankungen ausübt. In Asien, wo Soja zu den Grundnahrungsmitteln gehört, liegt die täglich aufgenommene Isoflavonmenge bei 20 – 80 mg/Tag. Im Gegensatz dazu werden in den westlichen Ländern nur etwa 1 - 3 mg/Tag konsumiert. Diese Unterschiede im diätetischen Verhalten werden seit den ersten Arbeiten von Adlercreutz et al. immer wieder mit der Prävalenz hormonabhängiger Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Phytoöstrogene gehören zu den biologisch aktiven Pflanzenbestandteilen. Ihre Gesamtzahl wird auf etwa 50.000 geschätzt. Etwa 10.000 Phytoöstrogene kommen in Nahrungsmitteln vor, nur ein Bruchteil von ihnen ist bisher erforscht.
Phytoöstrogene werden in drei Gruppen unterteilt:
- Isoflavone (Genistein, Daidzein). Vorkommen: Soja, (die höchste Konzentration enthält die Sojabohne mit 3 - 4 mg /g Protein, Sojaprodukte enthalten 2 mg/g Protein), Bohnen, Obst, Gemüse
- Lignane (Enterolacton, Enterodiol). Vorkommen: Beeren, Vollkorngetreide, Leinsamen
- Coumestane (Coumestrol). Vorkommen: Alphasprossen, Rotklee
Die mit Abstand meisten klinischen und experimentellen Studien beziehen sich auf Genistein, d.h. die uns bekannten Daten zu Wirkungen und Nebenwirkungen der Phytoöstrogene beziehen sich auf die Soja-Isoflavone.
Molekulare Struktur
Soja-Isoflavone sind heterozyklische Phenole, also nicht steroidale Moleküle, die dennoch strukturelle Ähnlichkeiten mit dem 17-beta Östradiol und dem Tamoxifen haben. Der Phenolring ist die Voraussetzung für die Bindung an den alpha- und beta-Östrogenrezeptor. Die östrogene Potenz der Phytoöstrogene ist gegenüber dem 17–beta-Östradiol um den Faktor 10-2 bis 10-3 geringer. Durch entsprechende Nahrungsaufnahme kann allerdings die Serumkonzentration der Isoflavon soweit erhöht werden, dass durchaus endokrine Effekte erzielt werden können.
Phytoöstrogene und Mammakarzinom
Die Inzidenz hormonabhängiger Malignome weist weltweit große geographische Unterschiede auf. Die These, dass diätetische Aspekte eine entscheidende Rolle bei der Genese dieser Karzinome spielen, wurde durch so genannte Migrationsstudien gestützt. Die Mammakarzinom–Inzidenz stieg bei Japanerinnen, die in westlich Länder emigrierten und damit zwangsläufig ihren Lebens- und Ernährungsstil änderten, deutlich an. Ähnliche Ergebnisse liegen bei emigrierten japanischen Männern für das Prostatakarzinom vor. Neben allgemeinen Faktoren, die die asiatische Küche von der westlichen unterscheidet (mehr Gemüse, weniger Fett) wurden die Phytoöstrogene als krebspräventive Substanzen entdeckt.
- Phytoöstrogene bewirken eine kompetitive Hemmung des Östrogenrezeptors
Die Rolle der Östrogene in der Genese des Mammakarzinoms wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Östrogene sind an der Induktion des Malignoms offensichtlich nicht beteiligt, wohl aber in der Promotion. Dies erklärt, warum eine verlängerte Lebensexposition gegenüber endogenen Östrogenen mit einer erhöhten Brustkrebsinzidenz einhergeht. Als schwach wirksame Östrogene konkurrieren die Isoflavone mit den endogenen Östrogenen um die Östrogenrezeptoren. Durch diese kompetitive Hemmung wird der proliferationsfördernde Effekt der endogenen Östrogene auf hormonsensibles Gewebe reduziert.
- Phytoöstrogene stimulieren in der Leber die SHBG-Synthese und reduzieren damit den Wirkspiegel der biologisch aktiven endogenen Östrogene.
- Phytoöstrogene wirken als selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERMS)
Das Phänomen, dass ein und dieselbe Substanz sowohl östrogene als auch antiöstrogene Wirkung ausüben kann erklärt sich durch die Tatsache, dass es zwei Östrogenrezeptoren gibt (ERalpha und ERbeta), die unterschiedliche organspezifische Verteilungsmuster aufweisen. Genistein kann an beide Rezeptoren binden, zeigt aber eine zwanzigfach höhere Affinität zu Erbeta, an dem es hauptsächlich antagonistisch wirket. ERbeta befindet sich hauptsächlich an der Brustdrüse, den Ovarien, dem Uterus, der Prostata und der Lunge.
- Phytoöstrogene zeigen in vitro Antiangiogenese–Effekte
Die Neoangiogenese ist ein entscheidender Faktor im Rahmen der Tumorpromotion. Ab einer gewissen Größe muss es einem Tumor gelingen, Anschluss an das Gefäßsystem zu erlangen, um sein weiteres Wachstum zu gewährleisten. Hierzu ist ein sehr komplexer Prozess erforderlich: Stimulation, Proliferation, Migration und schließlich die Ausformung epithelialer Zellen in vaskuläre Strukturen. Für die endogenen Östrogene konnte nachgewiesen werden, dass sie einige Schritte der Tumorangiogenese fördern. Genistein erwies sich in In-vitro-Studien als potenter Angiogenesehemmer. Sowohl die Endothelzellmigration als auch die kapilläre Transformation konnte unterdrück werden.
- Phytoöstrogene sind Antioxidantien
In der Literatur verdichten sich die Hinweise, dass freie Radikale eine Schlüsselrolle bei degenerativen und altersassoziierten Erkrankungen spielen. Durch die Induktion von chromosomalen Mutationen kommt ihnen auch ein karzinogener Effekt zu. Phytoöstrogene zeigen sowohl in vitro als auch in vivo ausgeprägte antioxidative Eigenschaften. Die stärkste antioxidative Eigenschaft weist das Equol auf, ein Metabolit der Isoflavone, dessen molekulare Struktur derjenigen der Tocopherole (Vitamin E) ähnelt.
- Phytoöstrogene sind Tyrosinkinase-Hemmer
Einige Enzyme wie die Tyrosinkinase und die DNA–Topoisomerase sind Kofaktoren der Karzinogenese. Mit Hilfe verschiedener Wachstumfaktoren wirken sie auf die Zellproliferation und –transformation. Genistein zeigt sich in vitro als ein spezifischer Inhibitor der Tyrosinkinase, der Topoisomerase und der Histidinkinase. Durch diese ersten Laboruntersuchungen lassen sich die krebspräventiven Effekte der Phytoöstrogene erklären. Synthetische Tyrosinkinasehemmer werden zur Zeit in experimentellen Studien auf ihre therapeutischen Möglichkeiten bei Karzinomerkrankungen untersucht. Es ist noch zu früh, um klinische Rückschlüsse zu ziehen.
- Phytoöstrogene sind 5-alpha-Reduktasehemmer
Die 5-alpha-Reduktase, ein prostataspezifisches Enzym, ist für die enzymatische Konversion des Testosterons in den biologisch wirksameren Metaboliten Dihydrotestosteron (DHT) verantwortlich. DHT spielt bei der Promotion und Progression des Prostatakarzinoms eine Schlüsselrolle. Der Einsatz von 5-alpha-Reduktasehemmern gehört daher zu den urologischen Basisstrategien in der Therapie des Prostatakarzinoms. Der hohe Anteil von Phytoöstrogenen in der asiatischen Ernährung und die deutlich geringere Aktivität der 5-alpha-Reduktase bei asiatischen Männern im Vergleich zu Amerikanern bietet die plausible Erklärung für die niedrige Inzidenz des Prostatakarzinoms bei asiatischen Männern.
Studien zur klinischen Wirksamkeit von Phytoöstrogenen (Isoflavonen) kamen zu sehr diskordanten Ergebnissen:
Von insgesamt fünf Studien, die den Zusammenhang von Phytoöstrogen-Aufnahme und Mammakarzinominzidenz untersucht haben, zeigen drei eine signifikante Risikoverminderung für das prämenopausale Mammakarzinom. Eine Studie (Messina et al. 1997) belegt ein vermindertes Risiko für postmenopausale Frauen.
In allen Studien wurde nur die täglich konsumierte Phytoöstrogenmenge gemessen. Die Resorptionsfähigkeit von Isoflavonen ist individuell sehr unterschiedlich. In den meisten Studien wurden nur die täglich aufgenommenen Mengen an Isoflavonen dokumentiert, jedoch keine Serumspiegel oder Metaboliten im Urin bestimmt. Deshalb stellt sich die Frage, ob ein ausbleibender Effekt ein Beweis für die Unwirksamkeit oder der Ausdruck einer ungenügenden Resorption ist. Eine Studie von Ingram et al. 1997 zeigte eine eindeutige Korrelation zwischen der Isoflavonmetabolitenmenge im Urin und der Abnahme der Mammakarzinomrisikos. Zu einem ähnlichen Ergebnis waren Adlercreutz et al. bereits 1982 gekommen.
Untersuchungen über den Einsatz von Phytoöstrogenen in der Therapie des klinisch manifesten Mammakarzinoms liegen noch nicht vor. Im Tierversuch konnten von Gotoh et al 1998 eine gesteigerte Wirksamkeit von Tamoxifen feststellen, wenn die Versuchstiere gleichzeitig Soja-Isoflavone erhielten.
Bisher ist es noch verfrüht, aus solchen Tierexperimenten Rückschlüsse auf die Therapie des Mammakarzinoms beim Menschen zu ziehen. Die Rolle der Phytoöstrogene bleibt bis zum Vorliegen aussagekräftiger Studien auf den Bereich der Primär- und Sekundärprävention beschränkt. Es sollte nicht vergessen werden, dass es nicht die Isoflavone alleine sind, denen eine protektive Rolle in der Brustkrebsprävention zukommt. Eine Reihe von Lebensstil- und Ernährungsfaktoren (Abbau von Übergewicht, Reduktion des Alkoholkonsums, regelmäßige Bewegung) wurden inzwischen als krebspräventiv identifiziert. Entsprechende Empfehlungen wurden von der Deutschen Krebsgesellschaft veröffentlicht.
Phytoöstrogene in der Hormonersatztherapie
Lebensqualität während und nach der Menopause hängt von folgenden Faktoren ab:
- subjektive klimakterische Beschwerden:
Hitzewallungen (sog. Hot flush), Reizbarkeit, Schlafstörungen, Schweißausbrüche
- Langzeitfolgen den Hormonmangels:
- ZNS (Morbus Alzheimer)
- Gefäßsystem (Arteriosklerose, Herz- und Hirninfarkt)
- Skelettsystem (Osteoporose und Arthrose)
- Leber (Lipidstoffwechsel)
- Urogenitaltrakt (Inkontinenz)
Gefäßsystem
Die protektive Wirkung der Phytoöstrogene gegen kariovaskuläre Erkrankungen wird durch epidemiologische Studien gestützt, die eine deutlich geringere Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen im asiatischen Raum belegen. Eine Studie von Anderson et al. zeigte, dass bei einer täglichen Aufnahme von 40 – 50 mg Soja-Isoflavonen das Gesamtcholesterin signifikant um durchschnittlich 24 % sinkt. Die Cholesterinsenkung bezog sich selektiv auf das gefäßschädigende LDL-Cholesterin. Die HDL-Cholesterin-Fraktion blieb erhalten bzw. stieg leicht an.
Phytoöstrogene haben einen protektiven Effekt auf die Arteriosklerose. Dies ist auch für die endogenen Östrogene bekannt, jedoch steht dem protektiven Effekt im arteriellen System das Thromboserisiko im venösen System gegenüber. Phytoöstrogene haben als Tyrosinkinase-Inhibitoren die Funktion eines Thrombozytenaggregationshemmers. Die Thyrosinkinase ist ein entscheidender Faktor in der Induktion der Thrombozyten-Aggregation.
Skelettsystem
Östrogenmangel führt zu einem erhöhten Knochenturnover durch erhöhte Osteoblasten- und noch höhere Osteoklastenaktivität und damit zur Osteoporose und zu einer erhöhten Frakturgefährdung der postmenopausalen Frauen. Epidemiologische Studien zeigen eine niedrigere Rate an osteoporotisch bedingten Frakturen im asiatischen Raum, was wiederum auf die phytoöstrogenreiche Nahrung zurückgeführt wird. Im Tierversuch konnte an ovarektomierten Ratten der Verlust an Knochenmasse durch die Gabe von Genistein verhindert werden. In einer klinischen Studie wiesen Potter et al. eine Zunahme der Knochendichte bei postmenopausalen Frauen nach, die sechs Monate lang isoflavinangereicherte Nahrung zu sich genommen hatten.
Ipriflavon, ein synthetisches Isoflavon–Derivat, wird in einigen Ländern zur Osteoporoseprophylaxe bereits eingesetzt. In einer Dosierung von 200 - 600 mg/d verhindert es den Knochenabbau bei postmenopausalen Frauen sowohl im vertebralen als auch im peripheren Skelettsystem. Aus der Wirksamkeit des sythetischen Isoflavons eine Wirksamkeit der pflanzlichen Isoflavone abzuleiten, ist jedoch nicht zulässig.
Klimakterische Beschwerden
Auch in diesem Bereich zeigen epidemiologische Studien, dass Frauen im asiatischen Raum weniger unter psychovegetativen Beschwerden leiden, als in westlichen Ländern. 80 % aller Frauen im Westen klagen über Hitzewallungen, im asiatischen Raum sind es dagegen nur 20 %. Der höhere Phytoöstrogenanteil in der asiatischen Nahrung wurde auch hierfür verantwortlich gemacht. In einer von Scambia et al. veröffentlichten Studie konnte mit einem Isoflavon-Präparat eine statistisch relevante Reduktion von Hitzewallungen bei postmenopausalen Frauen gegenüber einer Plazebogruppe nachgewiesen werden. Verglichen mit einer Reduktion der Symptomatik um 90 % durch die Gabe der klassischen Hormonersatztherapie konnte in der Gruppe mit Isoflavon nur eine Reduktion um 45 % erreicht werden. Der Effekt der Phytoöstrogene ist in diesem Bereich dem der endogenen Östrogene deutlich unterlegen.
Mögliche Risiken und Nebenwirkungen
Da vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie durch Studien nicht hinreichend geklärt ist, ob eine Steigerung der Mamma- und der Corpuskarzinominzidenz unter HRST zu verzeichnen ist, ist Vorsicht geboten. Phytoöstrogene haben selbsverständlich auch östrogene Wirkung. In einer Studie konnte im Tierversuch an athymen Mäusen gezeigt werden, dass Genistein das Wachstum einer bestimmten Mammakarzinomzellinie fördert. In-vivo-Studien, die eine krebsfördernde Wirkung zeigen, existieren nicht.
Fragen und Fazit
Welches ist die optimale Dosierung? Sollte sie sich in dem Bereich bewegen, den Asiaten mit ihrer sojareichen Diät erreichen? Oder sollten wir deutlich höhere Dosen verwenden?
Wie lässt sich die Resorption und damit die Bioverfügbarkeit von Phytoöstrogenen verbessern? Lassen sich einfache Labortests entwickeln, die den Plasmaspiegel von Phytoöstrogenen bestimmen? Eine ausreichende Menge Phytoöstrogene nur über die Nahrung aufzunehmen, würde eine drastische Umstellung der Ernährungsgewohnheiten bedeuten - deshalb erscheint die Verwendung von Phytoöstrogen-Supplementen sinnvoll. Studien weisen darauf hin, dass die Wirkung der heute erhältlichen Supplemente den ursprünglichen Sojaprodukten unterlegen ist. Gelingt es der Industrie, Bessere zu produzieren? Stellen die Phytoöstrogene vielleicht die bessere Alternative in der Langzeitprävention hormonmangelbedingter Erkrankungen dar, weil sie offenbar zu einer signifikanten Reduktion des Mammakarzinomrisikos führen?
Um diese Fragen zu klären, braucht es weitere aussagekräftige Studien. Was aber aus heutiger Sicht nach intensiver Nutzen-Risiko-Anlayse gesagt werden kann ist, dass der Konsum in der gegenwärtig empfohlenen Dosierung 40 - 60 mg/d sinnvoll ist. Auch wenn letztlich beweisende klinische Studien über den Nutzen von Phytoöstrogenen noch ausstehen, so belegt doch die Fülle an epidemiologischen Studien ihre positive Wirkung im Bereich hormonabhängiger Erkrankungen. Gleichzeitig gibt es keine ernsthaften Berichte über gesundheitliche Risiken.
Literatur
Frauenarzt 11/01
Arzneimittelinformation der Firma Schering
Der Gynäkologe 11/98
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