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Pränataldiagnostik

  Inhaltsverzeichnis

  2.1 Ziel und Vorgehensweise        2.3 Brustkorb, Herzdiagnostik

2.2 Kopf und zentrales Nervensystem

Nach der üblichen Vermessung des Kopfes durch Quer- und Längsdurchmesser sowie Umfang erfolgt die Beurteilung der Kopfform und der einzelnen Hirnstrukturen.
Erst ab der 16. -17. Schwangerschaftswoche ändert sich dieses Bild der einzelnen Hirnabschnitte deutlich, die äußeren Wände der Gehirnkammern rücken nach innen und sind nach der 20. Schwangerschaftswoche im Ultraschall nur noch als schmale dunkle Spalte nachweisbar.
Ab dem Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels läßt sich in der hinteren Schädelgrube immer deutlicher das Kleinhirn abgrenzen. Dieses besitzt eine sanduhrartige Form und entspricht in seiner Querausdehnung in Millimetern bis zur 24. Schwangerschaftswoche dem Schwangerschaftsalter. Es kann somit zur Bestimmung des tatsächlichen Schwangerschaftsalters hinzugezogen werden. Bei einer Verformung des Kleinhirns muß nach Veränderungen im zentralen Nervensystem bzw. der Wirbelsäule gesucht werden.
Die Gesichtsstrukturen lassen sich bei guter Lage des Feten bereits zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels darstellen. Ab diesem Zeitpunkt sind auch die Augenhöhlen und deren Abstand meßbar. Dies ist neben dem bloßen Nachweis von zwei Augenanlagen besonders für eine sonographische Risikoabschätzung einer eventuellen genetischen Erkrankung wichtig.
Nicht obligat und mitunter auch schwierig ist die Darstellung von Lippen und Oberkiefer sowie des Profils. Bei familiärer Belastung mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte bzw. beim Verdacht auf ein Mißbildungssyndrom ist gerade diese Untersuchung indiziert.
Bei entsprechender Erfahrung gelingt der Ausschluß bzw. der Nachweis einer Spaltbildung im Bereich der Oberlippe und/oder des Oberkiefers ab der 20. Schwangerschaftswoche in fast allen Fällen.
Das fetale Profil (Abb.9) läßt sich demgegenüber nicht immer exakt einstellen. Allerdings birgt seine Darstellung neben der sozusagen ersten Portraitabbildung auch eine Reihe von Informationen über die Gesundheit des zu erwartenden Kindes. So sind Veränderungen des Profils wichtige Hinweiszeichen für genetische Veränderungen, Skelettfehlbildungen sowie seltene komplexe Syndrome.

Abb. 9
Abb.9 Profildarstellung 21. Schwangerschaftswoche

Ab dem 3. Entwicklungsmonat beginnt die Verknöcherung der Wirbel, die Vereinigung der Wirbelbögen ist im 4. Monat abgeschlossen. Somit erscheint die fetale Wirbelsäule im Ultraschall bereits ab der 14. -15. Schwangerschaftswoche als stark reflektierende Doppellinie.
Im Querschnitt der einzelnen Wirbel lassen sich die drei Verknöcherungszonen als weiße Flecke darstellen. Deren Nachweis sowie die Beurteilung ihrer Anordnung untereinander ist ausschlaggebend für den Ausschluß eines ”offenen Rückens”. Bei guter Lage des Feten kann nach der 20. Schwangerschaftswoche das untere Ende des Rückenmarks zur Darstellung kommen.

Fehlbildungen des zentralen Nervensystems haben in der BRD eine Häufigkeit von 1: 1000 und somit eine allgemeine klinische Relevanz. Sie umfassen an erster Stelle die Neuralrohr-defekte, d.h. den Anencephalus (s. I.6), die Spina bifida (offener Rücken) und die Meningomyelozele (Vorwölbung des Rückenmarkes durch einen Wirbelkörperdefekt).
Diese Defekte entstehen in der 3. - 4. Embryonalwoche durch einen unvollständigen Schluß des Neuralrohres. Die zu beobachtenden Fehlbildungen von Gehirn, Rückenmark und der sie umgebenden Bindegewebe lassen sich davon ableiten. Ein Basisdefekt ist unbekannt.
Schlußstörungen am kopfseitigen Anteil des Neuralrohres führen zum Anencephalus bzw. zur Encephalocele (bruchartiger Vorfall von Hirnsubstanz durch einen Defekt im knöchernen Schädel). Encephalocelen kommen sehr selten vor und sind fast immer mit einem Hydrocephalus (Wasserkopf) kombiniert. Für die Prognose ist die genaue Definition der Bruchpforte sowie des Hirnabschnittes, welcher sich im Bruchsack befindet, von Bedeutung.
Bei tieferliegenden Veränderungen kommt es zur Spina bifida an den unterschiedlichsten Abschnitten der Wirbelsäule (Abb.10) mit verschiedenartigen Ausprägungsgraden. Durch die Spaltbildung der Wirbelsäule ist das Rückenmarksgewebe entweder bloßgelegt (Rhachischisis bzw. Myelocele) oder von einem Bruchsack aus Hirnhaut umgeben (Meningomyelocele).
Mitunter kommt es auch nur zum Vorwölben der Hirnhaut ohne Rückenmarksbeteiligung (Meningocele). 20-25 % aller Spaltbildungen der Wirbelsäule weisen eine häutige Deckung auf. Bei allen anderen liegt das Nervengewebe entweder völlig frei oder ist nach außen hin nur mit einer dünnen Membran bedeckt. In Abhängigkeit von Lokalisationshöhe, Ausdehnung und Art des Defekts sind unterschiedliche Schweregrade zu beobachten. Eine relativ gute Prognose bezüglich der späteren körperlich und geistig normalen Entwicklung nach chirurgischer Versorgung besitzen die Meningocelen. Generell günstiger ist sie bei den überhäuteten Spaltbildungen.

Abb. 10
Abb. 10
Abb.10 Spina bifida 20.Schwangerschaftswoche (oben im Querschnitt, unten im Längsschnitt)


Rund 90 % der Störungen befinden sich im Lenden- und Kreuzbeinbereich, 6 % an der Brust und 3 % an der Halswirbelsäule. In der Regel ist die Prognose bezüglich der zu erwartenden Ausfallserscheinungen um so besser, je tiefer der Defekt sitzt. Aber auch bei von Sitz und Größe günstigen Veränderungen kann man vorgeburtlich nicht sicher abschätzen, ob ein Kind später laufen, sowie Wasser und Stuhl halten kann.
Bei den nicht durch Haut gedeckten Formen der Spina bifida fließt permanent Rückenmarksflüssigkeit in das Fruchtwasser ab. Dadurch kommt es einerseits zur Vermehrung desselben, andererseits durch die Sogwirkung zum Hineinziehen des Kleinhirns in die hintere Schädelgrube. Infolge dessen bildet sich obligat durch die Erweiterung der Hirnkammern ein Hydrocephalus (Wasserkopf) heraus.
Als Suchtest für Spaltbildungen kann am Anfang des zweiten Schwangerschaftsdrittels die Bestimmung des Alphafetoproteins (AFP) im Blut der Schwangeren durchgeführt werden.
Das AFP ist ein kohlenhydrathaltiges Eiweiß, welches vom Dottersack, der fetalen Leber und Zellen des Verdauungstrakts (auch im Erwachsenenalter) produziert wird.
Der AFP-Wert ist in den meisten Fällen der Neuralrohrdefekte über den normalen Schwankungsbereich hinaus erhöht. Ein auffälliger Test bedeutet jedoch nicht, daß bei dem zu erwartenden Kind auch tatsächlich eine Erkrankung vorliegt, da das AFP stoffwechselabhängig auch von der Mutter vermehrt gebildet werden kann. Eine gezielte Ultraschalluntersuchung in einem entsprechenden Zentrum schafft hierüber in der Mehrzahl der Fälle Klarheit. Mitunter macht sich bei zweifelhaften Ultraschallbefunden eine Amniocentese mit nachfolgender Bestimmung des AFP-Wertes im Fruchtwasser notwendig. Ist dieser erhöht, muß weiter ausgiebig nach einer Spaltbildung gesucht werden.

Der angeborene Hydrocephalus, welcher nicht durch Neuralrohrdefekte hervorgerufen wird, findet sich bei etwa 1: 2000 Geburten. Dieser kann genetisch bedingt sein (Dandy-Walker-Syndrom, Bickers-Adams-Syndrom), durch äußere Faktoren hervorgerufen werden (Arnold-Chiari-Syndrom) oder auf der Grundlage einer Gerinnungsstörung (Alothrombozytopenie) entstehen (Abb.11). Der Hydrocephalus läßt sich am frühesten durch ein Verbreiterung des Hinterhauptes (zitronenförmiger Kopfquerschnitt) sowie an einer Anschwellung der Hinter-und Vorderhornbereiche der seitlichen Hirnkammern erkennen. Leider gelingt der Nachweis oftmals erst nach Ausbildung des Vollbildes jenseits der Grenze der Lebensfähigkeit (nach der 24. Schwangerschaftswoche).
Beim Dandy-Walker-Syndrom (4 % aller Fälle von Hydrocephalus) handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, welche häufig bei der nicht lebensfähigen Trisomie des Chromosom 18 auftritt. Es besteht hierbei ein Verschluß des Kleinhirnwurms sowie der mittigen bzw. seitlichen Öffnung der über dem Rückenmarkskanal befindlichen IV. Hirnkammer, welcher zum Aufstau der Hirnflüssigkeit führt. Es findet sich somit die Kombination eines Hydrocephalus mit einer cystenartigen Erweiterung der IV. Hirnkammer, einer defekten Kleinhirnentwicklung und einer Erweiterung der hinteren Schädelgrube. Die Prognose ist auch bei nachgewiesenem normalen Chromosomensatz sehr schlecht, die Lebenserwartung deutlich herabgesetzt. Ein Wiederholungsrisiko besteht in 25 %.
Das Bickers-Adams-Syndrom (30 % aller Fälle von Hydrocephalus) basiert auf einem Verschluß der Verbindung zwischen den III. und IV. Hirnkammern, welche durch eine Veränderung des X-Chromosoms bedingt und vererbt wird. Die Lebenserwartung ist äußerst gering, das Wiederholungsrisiko bei Knaben 50 %.
Im Gegensatz dazu wird das Arnold-Chiari-Syndrom meistens unter Beteiligung von äußeren fruchtschädigenden Einflüssen hervorgehoben. Der Hydrocephalus entsteht hierbei durch eine Hemmungsmißbildung im Übergangsbereich zwischen Kleinhirn und Rückenmark, wobei das Nachhirn in den Rückenmarkskanal verlagert ist. Dadurch kommt es vorwiegend zur Erweiterung der III. Hirnkammern. Die Lebenserwartung ist durchschnittlich herabgesetzt, jedoch können durch neurochirurgische Korrekturen zu einem frühen Zeitpunkt nach der Entbindung gute Erfolge erzielt werden.

Abb. 11
Abb.11 Hydrocephalus 24. Schwangerschaftswoche


Neben diesen genau definierten Formen des Hydrocephalus gibt es andere mit weitestgehend unklarer Ursache. Diskutiert werden hierbei Verschlüsse der Hirnschlagadern, Hirnblutungen u.a. In den letzten Jahren gelang der Nachweis einer verminderten Zahl der Blutplättchen des Feten (Alothrombozytopenie) als Grund für eine Flüssigkeitansammlung in den Hirnkammern. Dieser erfolgt durch die Gewinnung von Blut mittels einer Nabelschnurpunktion in darauf spezialisierten Kliniken. Beim Vorhandensein einer deutlich verringerten Blutplättchenzahl wird diese durch die Übertragung von Spenderkonzentrat in der gleichen Sitzung behandelt. Oftmals machen sich Wiederholungen dieser Therapie notwendig. Die Erfolgsaussichten für die Geburt eines gesunden Kindes sind bei noch nicht ausgeprägtem Ausgangsbefund hoch.

Isolierte Zysten in der hinteren Schädelgrube sind prognostisch günstiger zu werten, da sie die Hirnanatomie nicht wesentlich zerstören. Von zu vernachlässigender Bedeutung sind zystische Veränderungen in den Adergeflechten der seitlichen Gehirnkammern (Plexus choroi-deus), wenn sie nicht mit einer Trisomie des Chromosoms 18 oder anderen genetischen Fehlinformationen einhergehen.

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Gerhard Leyendecker